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Zwischen Roulette und Literatur


Casino Reeperbahn & Hamburg by Rickshaw

Es war bereits dunkel, als ich meine Rikscha über Hamburgs lebenslustigste Straße lenkte. Das bunte Treiben auf dem Kiez spiegelte sich wider in den leuchtenden Neonlichtern von Clubs und Bars. Die beiden Männer mittleren Alters, die mich auf Höhe "Große Freiheit" per Handzeichen stoppten, unterhielten sich angeregt. 

„Zum Casino Reeperbahn, bitte!“, rief der eine der beiden, ein Mann mit kurz geschorenem Haar, Anzug und Mantel, der ihn wie einen seriösen Geschäftsmann aussehen ließ.

„Gerne, steigen Sie ein!“, entgegnete ich. Die Atmosphäre war sofort gelöst, und es dauerte nicht lange, bis sich das Gespräch vertiefte.

„Wir haben gerade einen besonders guten Lauf“, zog mich der andere Mann mit ins Gespräch, während er sich auf dem Sitz zurechtrückte. Sein langes, graues Haar verlieh ihm einen leicht rebellischen Touch.

„Oh, das klingt aufregend!“, lächelte ich in den Rückspiegel. „Gewinne sind immer willkommen.“

Die Männer plauderten weiter. Der Business-Looker erzählte von einem spektakulären Pokerabend, den er letzte Woche zu Hause in seinen eigenen vier Wänden erlebt hatte, während der Rebell mit einem breiten Grinsen von einem unerwarteten Jackpot an einem Spielautomaten schwärmte.

„Diese Online-Casinos kommen dem echten Nervenkitzel schon sehr nahe“, sagte der Business-Looker. „Man kann von überall aus spielen.“

„Stimmt“, fügte der Rebell hinzu. „Aber man muss auch aufpassen, dass man nicht zu tief in die Sache hineingezogen wird.“

Ein interessanter Punkt, dachte ich mir. Die Kehrseite des Glücksspiels war vielen bewusst, aber nur wenige sprachen das so offen aus.

Ich erlaubte mir daher das Thema ins Literarische zu vertiefen: „Verzeihen Sie mir bitte, dass ich mich einmische. Haben Sie Dostojewskis Roman 'Der Spieler' gelesen?“

Die reflektierte Antwort überraschte mich: „Ein faszinierendes Buch über die Abgründe des Glücksspiels.“, definierte der von mir so beschriebene Rebell.

„Ja, sehr richtig!“, stimmte ihm der Business-Looker zu. „Der Roman fängt diese nur schwer zu kontrollierende Leidenschaft sehr intensiv ein. Man kann sich gut in den hoch verschuldeten General hineinversetzen.“

Ich steigerte: „Ist es nicht erstaunlich, dass Dostojewski die allgemein menschliche Psyche gerade beim Spiel erforscht“, und spürte sogleich, wie sich die Rikscha in eine Art literarischen Salon verwandelte.

Der Rebell pflichtete bei: „Es ist, als ob er direkt in die Köpfe der Spieler geschaut hat. Die Höhen und Tiefen, die Hoffnung, die Liebe, der Schmerz und die Verzweiflung – alles ist da.“

Das Gespräch entwickelte sich zu einer tiefgründigen Diskussion über die menschliche Natur, die Atmosphäre der vier Hamburger Spielbanken, über die Unterschiede von Spielbank, Casino und Online-Casino, über das Glücksspiel in amerikanischen Indianerreservaten, schließlich über die Parallelwelten von Literatur, Leben und James-Bond-Verfilmungen. Der neue Radweg auf der Reeperbahn wurde zu einem Schauplatz von Gedanken, die tiefer gingen als der rotgefärbte Asphalt unter den Rikscharädern.

Am „Casino Reeperbahn“ angekommen, bedankten sich beide Männer herzlich mit einem guten Trinkgeld für die angeregte Fahrt.

Ich verabschiedete sie mit einem Lächeln und dachte dankbar darüber nach, wie mir das Rikschafahren doch ermöglicht, in die verschiedensten Lebenswelten einzutauchen. Im Sattel von einer Pferdestärke liegt das Glück der Erde. Die Straßen von Hamburg sind voller Geschichten.